Unterhaltssicherung – Ausnahmen vom Nachweiserfordernis
Gerade bei Familienzusammenführung gibt es Ausnahmen zum Nachweis der Unterhaltssicherung, die wichtig werden können:
- atypische Umstände müssen vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen,
- die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist.
Ob danach ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung. Der Ausländerbehörde steht insoweit kein Einschätzungsspielraum zu,
BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 – 1 C 3.08 – NVwZ 2009, 1239.
Unterhaltssicherung – Ausnahme wegen deutschen Kindern
Ist der Ausländer nur deshalb auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) angewiesen, weil er mit seinen deutschen Familienangehörigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, könnte er aber mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken, so ist bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen,
BVerwG, Urteil vom 16.08.2011 – 1 C 12.10 – NVwZ-RR 2912, 330 = InfAuslR 2012, 53.
Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt beim Nachzug eines minderjährigen Kindes in eine Kernfamilie, der mindestens ein minderjähriges deutsches Kind angehört, jedenfalls dann vor, wenn
a) die Kernfamilie ihren Schwerpunkt in Deutschland hat und mit dem Nachzug vervollständigt wird,
b) das nachziehende Kind das 13. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und
c) gegen die Eltern keine Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II verhängt worden sind,
BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 16.12 – NVwZ 2013, 1493 = InfAuslR 2013, 364.
Unterhaltssicherung bei humanitären Aufenthalt, § 26 Abs. 4 AufenthG
Die Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 AufenthG erfordert die Sicherung des Lebensunterhalts des Ausländers. Hiervon ist – abgesehen von der in § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG getroffenen Sonderregelung – nur in den in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG genannten Fällen abzusehen. Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nach dem Bundesverwaltungsgericht nicht möglich.
Die Ausnahmen (körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung) gelten nur für den Ausländer persönlich, nicht aber zugunsten eines den Kranken oder Behinderten pflegenden Dritten, BVerwG, Urteil vom 28.10.2008 – 1 C 34.07 – NVwZ 2009, 246 = ZAR 2009, 205.
Prüfungspflicht des Verwaltungsgerichts
Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist das Verwaltungsgericht gehalten, die Sache spruchreif zu machen. Es kann sich nicht darauf beschränken, den Akteninhalt auszuwerten. Gegebenenfalls muss das Verwaltungsgericht eigene Ermittlungen anstellen und kann dies nicht der Behörde im Rahmen der Neubescheidung überantworten,
BVerwG, Urteil vom 19.04.2011 – 1 C 3.10 – NVwZ 2011, 1277.